Prof. Dr. Hans-Werner Wahl

Zur Person

Abteilung für Psychologische Alternsforschung, Psychologisches Institut der Universität Heidelberg

 

Wahl Hans-werner
 

Interview vom 14. September 2014 zum Vortrag „Ich bin so alt wie ich mich fühle“ – Forschungsbefunde zum subjektiven Altern (durchgeführt von Birgit Kramer)

 

1. Wie groß können die Unterschiede zwischen dem tatsächlichen oder chronologischen Alter und dem subjektiven oder gefühlten Alter sein?

Das chronologische Alter ist DIE Variable in der Alternsforschung. Man kann sie gut messen, hat Verhältnis-Skala-Niveau, hat also einen Nullpunkt und objektiv-zeitlich gesehen vergleichbare Abstände zwischen unterschiedlichem Alter. Aber was sagt uns eigentlich das chronologische Alter? – Die große Frage der Gerontologie. Einiges schon, aber mit Sicherheit nicht alles. Und so kam eben die Idee ins Spiel, nach der subjektiven Seite zu fragen: Was ist eigentlich mit dem subjektiven Altern? Und man hat etwa seit Anfang der 1970er Jahre begonnen, eine Frage zu stellen, die zunächst sehr simpel klingt: Wie alt FÜHLEN Sie sich eigentlich? Einmal ganz unabhängig davon, wie alt Sie sind.

In vielen Studien wurde in der Folge recht Ähnliches gefunden, nämlich: je älter wir werden, desto jünger fühlen wir uns. Diese Diskrepanz kann  ohne weiteres 20 Jahre betragen. Es gibt beispielsweise 85-jährige, die uns sagen: Ich fühle mich noch wie 65. Da ist also eine große Spanne möglich.

In einer Lebenslaufperspektive ist ferner noch die folgende Befundlage interessant: Wenn wir noch jünger sind –  etwa 16, 17 Jahre –, fühlen wir uns eher älter. Und wollen uns auch älter darstellen. Und dieser Prozess scheint – da gibt es auch Studien dazu – etwa mit Mitte 20 umzukippen, wo wir langsam aber sicher anfangen, uns jünger zu fühlen. Diese Diskrepanz zum objektiven Alter  wird dann immer größer: mit 40, 45 Jahren sind es dann schon so 2, 3 Jahre. Bei den Personen über 65 Jahre liegen die Werte im Mittel etwa zwischen 4 bis 6 Jahren. Und wenn wir noch weiter in die höheren Altersgruppen gehen, dann steigt dieser Wert auf etwa 6 bis 8 Jahre hoch. Es gibt nur eine kleine Gruppe, die sich älter fühlt. Die meisten fühlen sich jünger. Ich sage manchmal auch: Die Paradoxie besteht darin, dass wir uns immer jünger fühlen, je älter wir werden.

 

2. Wie messen Sie in psychologischen Studien, was das jeweilige subjektive Alter einer Person ist?

Das subjektive Alter wird meistens sehr simpel gemessen, indem man einfach nur fragt: „Wie alt fühlen Sie sich?“ Dieses „gefühlte Alter“ wird dann aus genommen, und wir machen mit der Diskrepanz zwischen objektivem und gefühlten weitere statistische Analysen. Dieses häufig gewählte Vorgehen  ist also extrem simpel. Trotzdem ist die prädiktive Kraft, also was man alles damit vorhersagen kann, relativ hoch. Es gibt aber auch Bestrebungen, umfassendere und mehrdimensionale Fragebögen zum Erleben des eigenen Älterwerdens zu entwickeln. Einen solchen Fragebogen haben wir mit „Awareness of Age-related Change“ (Gewahrwerden des eigenen Älterwerdens) betitelt.

 

3. Was beispielsweise kann man denn mithilfe des subjektiven Alters vorhersagen?

Wir wissen zum Beispiel, dass das subjektive Altern bedeutsam mit Wohlbefinden korreliert, d.h. die sich jünger fühlenden Älteren berichten über ein höheres Wohlbefinden. Interessante Zusammenhänge bestehen auch mit Präventionsverhalten – was vielleicht nicht verwunderlich ist: Diejenigen, die sich jünger fühlen, investieren mehr in ihre körperlichen Aktivitäten. Es gibt auch, eventuell als Folge des eben beschriebenen Ergebnisses, sehr spannende Zusammenhänge zu gesundheitlichen Ereignissen. Diejenigen, die sich jünger fühlen, berichten zu deutlich späteren Messzeitpunkten (z.B. 20 Jahre nach der Einschätzung ihres subjektiven Alters) über eine etwas geringere Krankheitsrate, und sie zeigen auch eine bessere Gedächtnisleistung.

Wir interpretieren das so, dass über das Sich-Jünger-Fühlen und positive Einstellungen zum eigenen Älterwerden eine bedeutsame motivationale Kraft entfaltet wird: Ich trau mir „noch“ was zu als älterer Mensch – und dann mach’s ich auch. Und lass‘ ich mich von oftmals negativen Altersstereotypen nicht in eine Ecke stellen, springe über meinen eigenen „Altersschatten“ hinaus, der mir vielleicht sagt: „Aber du bist doch jetzt 85, da fährt man nicht mehr so ohne weiteres nochmal nach USA“. Und man stattdessen zu sich sagen kann: „Nur wegen des Alters `Nein, ich kann nicht` zu saqen, ist doch eigentlich Unsinn. Ich fühle mich noch jünger, weiß, was ich noch kann, und also mache ich es“.

Spannend ist an diesen auf bestimmte Endpunkte ausgerichteten Untersuchungen, dass die untersuchten „Outcomes“ (Folgen) eben nicht nur subjektive Bewertungen sind, wie zum Beispiel subjektives Wohlbefinden. Es geht auch um ganz harte, objektive Endpunkte. Erwähnt hatten wir schon objektive kognitive Leistungen im Bereich der kognitiven Leistung, was man heute sehr verlässlich messen kann. Aber man hat z.B. auch positive Zusammenhänge zwischen positiven Sichtweisen in Bezug auf das eigene Älterwerden und der Aufrechterhaltung des Hörvermögens und sogar zwischenzeitlich mehrfach zur Überlebensrate gefunden. Überspitzt könnte man sagen: Wenn wir unser eigenen Älterwerden gut finden, leben wir wahrscheinlich deutlich länger im Vergleich zu jenen, die ihrem Älter negativ  gegenüberstehen oder dieses sogar ablehnen.

 

4. Von welchen Faktoren hängt es ab, wie alt ich mich fühle?

Aus eigenen Studien können wir sagen: ein Faktor, der sicherlich bedeutsam ist, ist Persönlichkeit. Und zwar dahingehend, dass diejenigen, die ohnehin – man nennt das Neurotizismus in der Persönlichkeitsforschung – eine gewisse Neigung haben, sehr schnell Stress zu erleben, auch dazu neigen ihr eigenes Altern negativer zu sehen. Hier ist auch die Erwähnung sehr wichtig, dass solche Persönlichkeitszüge bis ins höchste Alter hinein relativ stabil bleiben. Unsere früh herausgebildete Persönlichkeit holt uns gewissermaßen auch noch in der Situation der Hochaltrigkeit ein. Wohingegen es jenen Personen, die eine hohe Extraversion haben, die also sehr offen und proaktiv vor allem auf ihre soziale Umwelt zugehen bzw. diese in ihr Leben einzubeziehen verstehen, besser zu gelingen scheint, auch dem Älterwerden positive Aspekte abzugewinnen. Insofern spielt also Persönlichkeit tatsächlich eine bedeutsame Rolle.

Ein anderer Befund, den wir auch mit Daten unserer  ILSE-Studie zeigen konnten: bereits im mittleren Erwachsenenalter, also etwa zwischen 45 und 65 Jahren,  zeichnen sich schon wichtige Unterschiede im Alterserleben ab, die dann bis ins späte Alter hinein Wege ins eher positive oder negative Sichtweisen des Älterwerdens mit bahnen können. Dabei spielen wahrscheinlich gesundheitliche Dinge eine bedeutsame Rolle. Diejenigen beispielsweise, die schon sehr früh vielleicht eine Karzinomerkrankung oder eine schwere Herzerkrankung hatten, die also bereits relativ früh eine bedeutsame gesundheitliche Bedrohungssituation erfahren haben, neigen schneller als andere dazu, sich zu sagen: „Das Alter holt mich schon jetzt ein. Alter ist eher etwas Negatives. Ich werde sicher bald noch mehr solche Verluste in meinem Leben sehen“. Insofern sagen wir, auch auf Grund weiterer Befunde, dass die „Primetime“ zur Arbeit an negativen Altersbildern und Alternseinstellungen nicht so sehr das hohe Alter, sondern das mittlere Erwachsenenalter darstellt.

 

5. Wie beeinflussen gesellschaftliche Altersbilder die Art und Weise, wie wir unser Alter(n) erleben?

Wenn es einen Befund gibt, der immer wieder jetzt bestätigt wurde, dann der: Wir können sehr, sehr schnell negative Altersstereotype auslösen. Mit der schnellen und gut gemeinten Aussage „Frau Schmidt, Sie sind ja schon 85 Jahre?“ löst man in der Regel schon ein negatives Altersstereotyp aus. Dagegen ist es, wie wir und andere vielfach gefunden haben, sehr viel schwerer, nachhaltig positive Sichtweisen auszulösen, etwa indem man rückmeldet: „Nach unseren Untersuchungen ist Ihre geistige Leistung sehr  gut, Sie sind sehr mobil, Sie wissen, was Ihre bedeutsamen Ziele sind.“ Dann sagen Ältere zwar: „Ja. Stimmt. Danke.“ Aber am Ende sagen sie trotzdem: „Ja, aber insgesamt ist Alter doch was Schlechtes und was Ungutes, Herr Professor Wahl, oder?“

Auch sog. Meta-Analysen, also die Zusammenfassung vieler Studien,  haben jüngst gezeigt, dass negative Altersstereotype sehr viel mächtiger sind als positive, und eben leider auch sehr viel einfacher und schneller auszulösen sind. In der internationalen Literatur ist aus diesem Grunde derzeit der „hot topic“ aufgekommen, ob und wie man ältere Menschen überzeugen kann, dass es beim Altern auch einige bedeutsame Elemente gibt, auf die man sich freuen kann oder die als Gewinn erlebt werden. Aspekte also, von denen man eventuell auch sagen kann: Die sind eben nur im Alter so möglich und nicht in anderen Lebensphasen. Denken wir etwa an Sichtweisen im Hinblick auf das eigene Leben, die so oftmals erst im höheren Lebensalter möglich sind – und einem viel Kraft geben können, die dann auch auf nachfolgende Generationen ausstrahlen kann. Entsprechende bisherige Interventionsstudien zeigen allerdings durchwachsene Erfolge. Wir selbst, vor allem meine Doktorandin Frau Martina Miche, haben in einer entsprechenden experimentellen Studie diesbezüglich nur begrenzte positive Veränderungen im Hinblick auf das eigene Älterwerden erzielen können.

 

6. Wie könnten Wissenschaft, Gesellschaft und Politik Altersstereotype oder Altersbilder verändern?

Ich glaube, wir werden da in Zukunft auf mindestens zwei Schienen fahren müssen. Die eine Schiene könnte sein, dass Alternsforscher und –forscherinnen, wie eben angedeutet, nach effizienten Interventionsverfahren suchen bzw. diese testen. Wir haben z.B. älteren Menschen mitgesteilt, dass ihre kognitive Leistung doch viel besser ist als sie erwartet haben. Dennoch stehen wir noch am Anfang, wenn es gilt, solches positive Wissen über das eigene Selbst wirklich in sein weiteres Älterwerden und das entsprechende Verhalten zu integrieren.  

Was wir auf der anderen Seite als zweite Schiene auch brauchen und zu wenig haben, sind Lernmaterialien, anhand derer man sich ein ganzes Leben lang über Altern bilden kann. Ich wünsche mir zum Beispiel eine richtig gute Serie von Schulbüchern und didaktischen Materialien, die optimale Möglichkeiten bieten, schon als junger Mensch mal ein bisschen spielerisch sich mit Altern auseinanderzusetzen. Und sich überhaupt Wissen zum Älterwerden in unserer Gesellschaft anzueignen. Es geht also um lebenslang orientierte Bildungsangebote, dass man im Grunde genommen sein ganzes Leben lernt, dass Älterwerden etwas  ist, mit dem man sich immer wieder auseinandersetzen muss  und bei dem man auch die Gewinnseiten durchaus sehr deutlich im Auge behalten muss. Ich glaube in der Tat, wir „können“ nicht einfach aus dem Bauch heraus „altern“, sondern müssen es eben lernen.

Und deshalb glaube ich auch, dass auch gesellschaftlich die Prozesse des massenhaften Älterwerdens und sogar Hochaltrig-Werdens sehr intensiv begleitet werden müssen. Da ist Politik gefragt. Aber da sind zum Beispiel auch Unternehmen gefragt. Unternehmen, die nicht als Reaktion auf den demografischen Wandel primär sagen: „Jetzt müssen wir nochmal eine richtige Welle von Neueinstellungen von Jungen umsetzen“. Sondern: „Wir müssen auch unsere alternde Belegschaft hier vor Ort als Gestaltungsaufgabe begreifen und die oftmals (subtil) negativen Altersbilder gegenüber älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern deutlich hinterfragen“.

Es gibt ja leider sehr viele Hinweise, dass diese eher negative Sicht, dass Altern nichts Gutes ist und mit Leistungsverlusten sehr eng verbunden ist, doch sehr verbreitet ist. Und ich glaube auch, diese negativen Sichtweisen sind in unserer Kultur tief kodiert und nicht von heute auf morgen zu verändern. Allerdings glaube ich auch, dass gerade meine Disziplin, die Psychologie – zusammen mit anderen Berufsgruppen in der Alternsforschung oder in der Alternspraxis – hier viel bewirken kann. Die Psychologie weiß etwa generell heute sehr viel über die Höhen und Tiefen von Einstellungs- und Verhaltensveränderungen. Dieses empirische Wissen ist grundsätzlich auch auf Ältere anwendbar. Gleichzeitig  müssen auch gesellschaftlich neue Bilder des Älterwerdens kreiert und dann auch systematisch verfolgt werden. Dann gibt es, glaube ich, langfristig gewisse Chancen, dass sich irgendwann einmal das negative Altersstereotyp stärker differenziert und positive Sichtweisen als real umsetzbarer Möglichkeitsraum des eigenen späten Lebens erfahren werden. Das wünsche ich mir sehr, sehe aber auch bei meinem eigenen Älterwerden (ich bin jetzt 60 Jahre), dass dies keineswegs einfach ist..

 

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Sokoll: Administrator
Letzte Änderung: 18.05.2015
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