Alina Vandenbergh
NAR-Kolleg, Netzwerk AlternsfoRschung
Interview vom 02. April 2014 von Dr. Andreas Lauenroth
Gibt es überhaupt einen Klimawandel?
Immer wieder kommen Zweifel über den Klimawandel auf. Dabei ist die Datenlage eindeutig und die überwiegende Mehrzahl internationaler Experten ist sich einig, dass ein vom Menschen verursachter Klimawandel stattfindet. Ich möchte hierbei zwei Punkte nennen, die häufig zu Missverständnissen führen:
Erstens: Klimawandel oder der missverständliche Begriff „Erderwärmung“, der glücklicherweise nicht mehr häufig gebraucht wird, sind keine Synonyme für „schönes Wetter“. Der Klimawandel verändert unser Klima und führt durchschnittlich zu einer Erwärmung, lokal kann es so aber auch zu mehr Wolkenbedeckung oder mehr Niederschlägen und insgesamt dadurch zu mehr Extremereignissen aller Art kommen.
Zweitens: Das Klima hat sich schon immer geändert. Aber seit der Mensch vor etwa 13.000 Jahren– also nach der letzten Eiszeit - begonnen hat, Ackerbau und Viehzucht zu betreiben, war das Klima recht konstant. Im letzten Jahrhundert hat das Klima dann begonnen, sich sehr schnell zu ändern. 24 Jahre der letzten 30 Jahren waren wärmer als der Durchschnitt des Referenzzeitraums. Die Erde hat schon ähnlich schnelle Klimaveränderungen – wenn auch v.a. hin zu einem kälteren Klima – erlebt, der Mensch als sesshaftes Wesen allerdings noch nicht. Und deswegen stellt der Klimawandel die Menschheit vor große Herausforderungen. Viele Millionenstädte liegen an Flüssen oder Küsten und eine Häufung von Überschwemmungen oder der Meeresspiegelanstieg werden deshalb schwere Auswirkungen haben. Auch sich ändernde Ernteerträge durch Klimaveränderungen sind bei einer wachsenden Weltbevölkerung ein sensibles Thema.
Welche sind die Gesundheitsrisiken, die durch den Klimawandel entstehen?
Allgemein kann man sagen, dass der Klimawandel keine neuen Krankheiten schafft, aber die geographische Ausbreitung und die Häufigkeitsverteilung von bestehenden Erkrankungen beeinflusst. Für Deutschland relevant ist vor allem der Einfluss auf Allergien, auf Infektionserkrankungen und auf Hitze- und Kältebelastungen. Beispielsweise wird bei Allergien der allergiefreie Zeitraum immer kürzer, denn viele Bäume und Gräser fangen schon früh im Jahr an zu blühen. Es könnten sich auch neue Arten in Deutschland ansiedeln, die Allergien auslösen, wie z.B. die Beifuß-Ambrosie.
Bei Infektionserkrankungen möchte ich zwei Beispiele herausgreifen: Zecken, die Krankheiten wie Borreliose oder FSME – eine Form der Hirnhautentzündung – übertragen, werden wahrscheinlich früher im Jahr schon aktiv werden und sich weiter noch Norden und in Höhenzüge hinein ausbreiten. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass mehr Erkrankungsfälle verzeichnet werden. Denn das ist zum Beispiel auch davon abhängig, wie sich die Menschen vor Zecken schützen. Aber es erhöht die Wahrscheinlichkeit von Infektionen. Vor dem flächendeckenden Auftreten tropischer Krankheiten wie Malaria oder Dengue-Fieber müssen wir uns zunächst nicht fürchten, da wir diese insbesondere durch die Mückenbekämpfung und eine gute medizinische Versorgung im Griff haben.
Eine direktere Bedrohung geht von Hitzewellen aus, die in Zukunft häufiger, länger und stärker werden sollen als bisher. Im Zeitraum der Hitzewelle 2003 sind in Baden-Württemberg etwa 1100 Menschen mehr gestorben als in diesem Zeitraum üblich. Die Sterblichkeitsrate bei starker Wärmebelastung im Vergleich zu thermischem Komfort ist bei 75-Jährigen in Baden-Württemberg um 15-20 Prozent erhöht.
Warum sind ältere Menschen besonders von Hitze betroffen?
Einerseits liegt das daran, dass ältere Menschen häufiger von Krankheiten betroffen sind, die die Fähigkeit des Körpers, sich an hohe Temperaturen anzupassen, beeinträchtigen. Das ist zum Beispiel der Fall bei Herzschwäche, Nierenerkrankungen und chronischen Lungenerkrankungen. Auch die Einnahme einiger Medikamente kann die körperliche Anpassung an Hitze beeinträchtigen
Andererseits sind ältere Menschen häufig weniger fit als jüngere. Auch das beeinflusst die Anpassungsfähigkeit des Körpers. Denn durch körperliche Aktivität werden das Herzkreislaufsystem und unsere Fähigkeit zu Schwitzen ähnlich beansprucht wie bei der Anpassung an Hitze. So werden z.B. die Blutgefäße in Armen und Beinen geweitet und das Herz schlägt schneller und kräftiger, um das Blut im Körper zu verteilen. Wenn solche Funktionen beeinträchtigt sind, dann beeinträchtigt das auch unsere Fähigkeit uns an Hitze anzupassen.
Inwiefern Alter an sich – selbst bei einem gesunden und fitten alten Menschen - Einfluss auf unsere Fähigkeit zu Schwitzen und unser Herz-Kreislauf-System hat, ist nicht vollkommen geklärt. Grundsätzlich scheint es aber auch bei einem gesunden Alterungsprozess eine gewisse Abnahme in der Schweißproduktion und der Leistung des Herz-Kreislauf-Systems zu geben.
Wie kann z.B. der Hausarzt in den Prozess zur Vermeidung von hitzebedingten Schädigungen eingebunden werden?
Zunächst einmal sollte sich der Hausarzt den Gefahren, die von Hitze ausgehen, bewusst sein. Dann kann der Hausarzt versuchen, eine gute Betreuung bei Hitze in seinen normalen Versorgungsablauf zu integrieren, was viele Ärzte auch schon auf die eine oder andere Art und Weise tun. In meiner Untersuchung, bei der ich mit Hausärzten über die Präventionsmöglichkeiten bei Hitze diskutiert habe, konnte ich vier Handlungsfelder identifizieren. Handlungsfeld 1 - Praxisablauf: Es sollten Anpassungen im Praxisablauf erfolgen (z.B. Terminverlegung in die frühen Morgen- und Abendstunden, Anbieten von zimmerwarmem Wasser in der Praxis). Handlungsfeld 2 – Medikamentenanpassung: Der Hausarzt kann entsprechend der individuellen Situation des Patienten Anpassungen der Medikation vornehmen. Handlungsfeld 3 - Aufklärung: Hausärzte sollten Patienten und pflegenden Angehörigen zu Hitzerisiken und präventivem Verhalten aufklären. Idealerweise würde ein solches Beratungsgespräch durch eine Informationsbroschüre unterstützt. Handlungsfeld 4 - Kontaktmaßnahmen: Allein stehende alte Menschen können je nach Gesundheitszustand in Hitzewellen auf besondere Unterstützung durch Kontaktpersonen angewiesen sein, beispielsweise zur Erledigung von Einkäufen oder der Motivation zur Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr. Außerdem belegt eine Vielzahl von Studien, dass sich der Gesundheitszustand eines Menschen in einer Hitzewelle sehr schnell verschlechtern kann. Daher ist es auch einfach wichtig, regelmäßig – mindestens zwei Mal täglich - zu sehen, wie es einer gefährdeten Person geht. Auch wenn Hausärzte in Hitzewellen die Anzahl ihrer Hausbesuche u. U. etwas erhöhen können, können Sie für diese Art der Unterstützung sicher nicht hauptverantwortlich sein. Hausärzte können aber den Betroffenen und sein soziales Netz (Bekannte, Nachbarn etc.) für solche Unterstützungsmaßnahmen sensibilisieren oder z.B. über bestehende Dienstleistungen wie die Hitzewarnungen des Deutschen Wetterdienstes informieren.
Wie funktioniert ein solches Hitzewarnsystem in Deutschland?
Das Hitzewarnsystem wird vom Deutschen Wetterdienst (DWD) geleitet wird. Hitzewarnungen werden ab zwei Tagen mit 32 Grad gefühlter Temperatur ausgesprochen. Diese Hitzewarnungen werden zum Teil über die Medien verbreitet. Außerdem gibt es einen Newsletter, den man auf der Homepage des DWD bestellen kann sowie eine Smartphone-App. Alle Pflegeheime in Baden-Württemberg werden, z.B. über das Landesgesundheitsamt, nach Möglichkeit über die Hitzewarnungen unterrichtet. Ansonsten sind die Hitzewarnungen des DWD aber noch relativ unbekannt. Im Gegensatz zu anderen Ländern, wie England, Italien oder Frankreich ist die Umsetzung der Hitzewarnungen zu Maßnahmen im Gesundheitsschutz noch recht gering ausgeprägt. In Kassel gibt es ein Modell-Projekt, bei dem gefährdete Personen über ein Netzwerk aus ehrenamtlichen Helfern in Hitzewellen Unterstützung erhalten. Hierbei war es vor allem ein Problem, gefährdete Personen zu erreichen, die von diesem Programm profitieren könnten. Hier könnte der Hausarzt ein viel versprechender Ansprechpartner sein. Allerdings muss dafür auch bei den Hausärzten ein ausreichendes Problembewusstsein bestehen und es müssen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, damit der Hausarzt solche Maßnahmen wirtschaftlich durchführen kann.
Wie kann ich mich persönlich bei Hitze schützen?
Es gibt keine Zaubertricks zum Hitzeschutz, aber jeder kann sich dem Wetter angepasst verhalten. Für alle gilt dabei: wenig körperliche Aktivität, Aufenthaltsräume kühl halten, leichte Kleidung, ausreichende Flüssigkeitsaufnahme. Verderbliche Nahrungsmittel sollten im Kühlschrank aufbewahrt werden. Jüngere Menschen sollten besonders viel trinken und auf schwere körperliche Arbeit oder Sport in der prallen Sonne verzichten. Bei Menschen mit Herz- oder Nierenleiden und bei hochbetagten Personen sollte die Menge der Flüssigkeitszufuhr mit dem Arzt abgesprochen werden. Wichtig ist zu wissen, dass die Flüssigkeitszufuhr nicht nur durch Getränke, sondern auch durch Speisen mit hohem Wassergehalt – idealer Weise mit genügend Salz - gedeckt werden kann. Denn insbesondere bei pflegebedürftigen Menschen ist es nicht immer einfach, diese zum Trinken zu animieren. Bei gefährdeten Personengruppen ist es auch wichtig, die Körpertemperatur aktiv niedrig zu halten, z.B. durch kühle Fuß- und Armbäder oder kühle Wadenwickel. Es kann sinnvoll sein, die Zimmer- und die Körpertemperatur zu überwachen.
Außerdem sollten Verwandte, Nachbarn und Freunde von hochbetagten Menschen in Hitzewellen regelmäßig Kontakt aufnehmen. Wenn sie zustimmen, kann man die Hochbetagten auch bei anstrengenden Alltagsaufgaben unterstützen. Doch ist es hier auch wichtig Ihre Wünsche nach Autonomie zu beachten.
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Alina Vandenbergh studiert seit 2008 an der Universität Heidelberg Medizin. Seit 2012 ist sie Stipendiatin des NAR-Kollegs und Doktorandin am Institut für Public Health in Heidelberg bei Prof. Rainer Sauerborn. Dort beschäftigt Sie sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit. In Ihrem Promotions-Projekt untersucht Sie Möglichkeiten der Prävention von Gesundheitsschäden in Hitzewellen. Im Mittelpunkt steht dabei der Hausarzt als einer der zentralen Akteure der Gesundheitsfürsorge im ambulanten Sektor.