Prof. Dr. Rainer Sauerborn

Zur Person

Institut für Tropenhygiene und öffentliches Gesundheitswesen

Sauerborn, Foto von Michael Doh, NAR

 

Interview vom 8. Januar 2008 mit Dr. Birgit Teichmann

 

Sie sind Leiter der Abteilung Tropenhygiene und öffentliches Gesundheitswesen. Einer Ihrer Arbeitsschwerpunkte liegt in Burkina Faso. Wie kann man sich Ihre Arbeit dort vorstellen?

Burkina Faso ist ein sehr armes Land mit anderem kulturellen Hintergrund und anderem geschichtlichen Hintergrund, aber die Kernprobleme der Gesundheit und der Gesundheitsversorgung sind wie hier. Es geht um arme Menschen und nicht so arme Menschen, Zugang zu Gesundheitsdiensten, gute Qualität von Gesundheitsdiensten. Man versucht zu verstehen, was die Krankheitslast ist, woran die Leute leiden und wie man die Gesundheitsdienste darauf zuschneiden kann. Eines der Dinge, die da herausgekommen sind ist, dass der Alternsprozess jetzt auch diese Bevölkerung erreicht, wo man immer gedacht hat, die sind jung, die erreicht das erst in 100 Jahren. Aber das ist weit gefehlt, die Lebenserwartung steigt und steigt, es gibt immer mehr alte Leute und es gibt eine völlige Ratlosigkeit, was mit diesen Leuten im Gesundheitsbereich und auch anderswo zu tun ist. 

 

Wie sehen die Lebenserwartungen in den Entwicklungsländern im Vergleich zu Westeuropäischen Staaten aus, in denen ja nach James Vaupel ein heute geborenes Mädchen die Chance hat, 100 Jahre alt zu werden?

Ja das ist richtig, die Lebenserwartung der Welt liegt bei ist 67 Jahren. Man meint immer die Weltbevölkerung sei jung, aber selbst in den ärmsten Ländern mit den größten Gesundheitsproblemen liegt sie etwa bei 54 Jahren. Sie steigt, nach dem Krieg war sie bei 40, bei Unabhängigkeit bereits bei 45 Jahren. Das geht natürlich zunächst einmal auf das Reduzieren der Säuglingssterblichkeit zurück. Wenn Sie wissen wie Lebenserwartung gerechnet wird, d.h. es werden alle Sterbefälle zusammengerechnet, so dass, wenn jemand ganz früh stirbt, plötzlich die Lebenserwartung wahnsinnig sinkt. Viele Leute wundern sich, dass es in manchen Ländern Menschen gibt, die 80 oder 90 sind, wo doch die Lebenserwartung bei 50 liegt, aber die Säuglingssterblichkeit verhagelt sozusagen das statistische Maß. Der erste Schritt war, die Säuglingssterblichkeit zu reduzieren, damit ging die Lebenserwartung schon auf 55-60 Jahre, der Rest ist jetzt allgemeines längeres Leben und da sind wir jetzt, selbst in Burkina schon. Und das ist eine Herausforderung.

 

Sie sind seit September 2007 Mitglied im Netzwerk Alternsforschung. Wie gestaltet sich das Altern in Entwicklungsländern?

Auf der einen Seite ist es ein Vorteil in den Entwicklungsländern zu leben, weil dort das Altern respektvoll erlebt wird und wesentlich positiver gesehen wird als bei uns, wo es im Wesentlichen um Verschleiß geht und damit ein Abstieg ist, während es dort in gewisser Weise ein sozialer Aufstieg ist. Dieser Blick ist jedoch ein bisschen romantisch, letztlich gibt es auch Probleme. Die traditionellen Strukturen brechen mit der Verstädterung immer mehr auf und es gibt auch dort alte einsame Menschen. Schlechte Karten haben alte Leute, wenn es um die Gesundheitsversorgung geht. Wenn es um die sozialen Sicherungsprobleme geht, gibt es außer der Familie in den meisten Ländern nichts. Und wehe, wenn dieses Netzwerk bröselt und das ist schon der Fall in den Städten, dass die Kinder die Eltern nicht mehr tragen wollen, wie es bei uns vor zwei Jahrhunderten war. Was die Gesundheit anbelangt, sind die Karten am schlechtesten, denn es kommen nun viele Krankheiten wie Krebserkrankungen, Alzheimer, mentale Erkrankungen. Die meisten Krebskranken leben in Entwicklungsländern und nicht bei uns. Altersspezifisch sind die Krebskranken etwa überall gleich und da die Alternsstruktur in den Entwicklungsländern jünger ist, ist sie absolut pro Land weniger, aber wenn Sie die ganzen Einwohner von den Entwicklungsländern  zusammennehmen, sind es zahlenmäßig mehr.   Das heißt: Absolut gibt es in den Entwicklungsländern mehr Krebskranke, mehr Diabetiker, von Alzheimerpatienten habe ich leider keine Zahlen. Für diese Leute ist die gesundheitliche Versorgung eine wahnsinnige Herausforderung. Chronische Krankheiten sind schwierig zu behandeln, denn Sie müssen dauernd Patientenkontakt haben und Laboruntersuchungen machen. Wir sehen es bei AIDS. AIDS ist eine chronische Erkrankung, die eine kontinuierliche Medikamenteneinnahme und Betreuung benötigt. Wir haben ein Projekt von der EU – „Health system challenges of the AIDS epidemic“, wo wir einfach einmal nachschauen, was das eigentlich für die Länder heisst, wenn sie einen Patienten lebenslang betreuen und mit Nebenwirkungen kämpfen müssen. Es fehlen die Medikamente, es gibt Resistenzen, dann fehlt das Geld, es ist also ein Albtraum. Die Gesundheitsdienste sind schon mit einfachen Sachen wie Malariabehandlung überfordert. Malariabehandlung geht drei Tage, ein Medikament was sie seit 40 Jahren kennen und trotzdem gibt es da massive Fehldiagnosen und Fehldosierung. Und jetzt kommt noch Krebs dazu mit wesentlich mehr Nebenwirkungen, jetzt kommt Diabetes dazu mit wesentlich engeren Kontrollen und an Alzheimer wage ich gar nicht erst zu denken. Es gibt eine große Community von Aidsforschung und Aidsstiftungen, aber ich habe noch keine Alternsstiftung dort gesehen. Ich kenne kein Forschungszentrum "Altern in Entwicklungsländern" und da verschläft die Akademische Gemeinde und die Politikgemeinde den Zug.

 

Gibt es vielleicht  Bereiche, in denen wir etwas von den Entwicklungsländern lernen können? Die Eingliederung der "Alten" ins Sozialleben haben Sie bereits angesprochen.

Ja, das eine ist die soziale Negation, es macht immer wieder Freude, wenn Sie sehen wie ein alter Mensch in einem traditionellem System getragen wird, respektiert wird, geachtet wird, der ja auch viel weiß. In einer oralen Kultur ist das, was einer in seinem Leben akkumuliert hat, ein Schatz. Da gibt es eben kein Internet um die Ecke, wo der Sohn googelt und plötzlich mehr weiß als der Vater. Da ist das Wissen sozusagen noch personifiziert und die Urteilskraft und die soziale Integrationsfähigkeit der Alten wird hochgeschätzt. Hier kann man sehr viel lernen, kulturell und von der Wertschätzung.  Dann aber auch eine gewisse Weisheit, dass man keine heroischen Eingriffe mehr macht. Dieses Sterben können und manchmal auch sterben wollen, dieses Gefühl „ich habe meinen Lebenskreis erfüllt“, wie mir mal ein Alter gesagt hat, „warum sollte ich jetzt heroische Operationen machen, ich bin glücklich 80 Jahre“. Also dieses Fehlen an heroischen Einsätzen, um auch noch jeden Tag herauszupressen und ein unabdingbares Schicksal gelassen anzunehmen. Da könnten wir uns auch eine Scheibe von abschneiden.

 

Sie arbeiten von Deutschland aus über Tropenkrankheiten und Gesundheitsökonomie in Entwicklungsländern. Da werden Sie bestimmt oft gefragt, was wir davon haben. Wie beantworten Sie diese Frage?

Es gibt eine kurzfristige und kurze wichtige Antwort, die heißt ja, überlegen Sie einmal, wie viele Deutsche dahin reisen und wenn die alle Malaria kriegen, dann haben wir Probleme. Dann frage ich meinen Interviewpartner: Wann waren sie zuletzt in Bali? Dann heißt es vor einem Jahr und: Dann waren sie in der Ambulanz? Ja. Und schon hat man einen Bezug, der völlig legitim ist. Dienstleistungsschutz einer eingeschleppten, dort erworbenen Infektionskrankheit, aber ich glaube wir sollten den Schutz als das begreifen was er ist, nämlich dass jede Gesundheitsgefahr, auch irgendwo anders auf dem Planeten Auswirkungen auf uns hat. Nehmen Sie die Vogelgrippe. Wenn in China das Zusammenspiel zwischen Tieren und Märkten, in denen die Tiere verkauft werden, Landnutzung und Wildvögel sich dort nicht ändert, kommt die Grippe zu uns. Sie wissen wie AIDS von Afrika zu uns gekommen ist. Es gibt keine Mauern mehr, die Erreger brauchen keinen Pass und kein Visum, Lebensstile wandern von uns dorthin und wir sind verantwortlich für die Zerstörung vieler Lebensstile dort. Ernährung, Hamburger in Neu Delhi, zerstören die schöne gesunde indische Küche. Aber es gibt eine gemeinsame Verantwortung. Wir haben ja diese Länder auch ausgebeutet und geschunden und jetzt sind wir mal dran etwas zurückzugeben. Das letzte Argument ist nicht so durchschlagskräftig in der öffentlichen Debatte, aber für mich schon.  Dann gibt es die letzten Gruppen von Argumenten, die sagen, die Probleme sind global. Da sitzt in Bali der Premierminister von Australien mit dem aus China, mit dem aus Burkina und mit dem aus USA, seinem Vertreter, dem Herrn Gabriel und die überlegen sich, wie sie das in den Griff bekommen können und dass jeder seine Interessen wahrt und trotzdem der Planet nicht untergeht. Und dazu ist es auch wichtig zu wissen, welche Gesundheitsauswirkungen das hat und das ist mein neustes Steckenpferd, diesen Zusammenhang zu durchleuchten. Alte, Kinder, Arme, das sind die Opfer des Klimawandels, was den Gesundheitsbereich anbelangt. Deshalb ist die Gemeinsamkeit auf diesem Planeten so offenkundig, dass ich meistens sehr schnell meine Gesprächspartner davon überzeuge, ich hoffe Sie auch, dass es keinen Sinn macht zu sagen, ich mache hier nur Hochleistungsmedizin, Schwerionentherapie und lass die anderen für sich sorgen.

 

Was erwarten Sie sich von der Kooperation im Netzwerk AlternsfoRschung in Bezug auf Ihre Arbeit?

Da muss ich ganz ehrlich sagen, ich bin kein Alternsforscher bin. Ich bin Pädiater also ich fange vom anderen Ende des Lebens an. Ich habe auch nie an diesen Themen gearbeitet, geforscht und publiziert, bin also, wenn Sie so wollen ein Exot in diesen Kreisen, aber ich hatte einen guten Einblick in die Krankheitslast, in die epidemiologische Situation und ich erkenne die Versorgungsproblematik und die Möglichkeiten und Grenzen. Ich kenne über Kollegen, die auch in Ländern der 3. Welt waren, und die über Altern forschen, die enormen Möglichkeiten an Herausforderungen, die es da gibt, und ich sehe in Heidelberg ein Netzwerk von hervorragenden Ärzten, Wissenschaftlern und Molekularbiologen und Public Health Leuten, die sich des Themas annehmen. Ich hoffe, dass wir, in dem wir die beiden Dinge verschränken und verkuppeln, im positivem Sinne verkuppeln, einen Mehrwert erzeugen, den wir nicht alleine und den die anderen alleine vielleicht gar nicht machen können, nämlich eine gewisse globale Dimension in unserem Netzwerk einzuziehen.  Die Probleme sind dieselben und der Alzheimer Patient sieht in Ouagadougou genauso aus wie in Heidelberg. Es gibt einfache Krebsbehandlungsmuster, die auch in der 3. Welt funktionieren und um das zusammenzubringen, wäre die Einrichtung einer Nachwuchsgruppe, die sich dieses Themas als Kristallisationspunkt fokussiert annimmt, äußerst wichtig.  Ich selbst kann das nicht, das können die Jungen besser und dieses hervorragende Umfeld hier in Heidelberg, das würde ich gerne hierfür nutzen.

 

Zur Person

Rainer Sauerborn, geboren 1952 in Waldniel/Niederrhein, absolvierte seine Ausbildung zum Kinderarzt in Bonn, Heidelberg und London. Anschließend besuchte er die Harvard School of Public Health in Boston. Seit 1997 ist Rainer Sauerborn Direktor der Abteilung Tropenhygiene und Öffentliches Gesundheitswesen des Universitätsklinikums Heidelberg. Seine Leidenschaft zu Burkina Faso entbrannte bereits 1979, als er als Wehrdienstverweigerer die Rolle des „District Medical Officer“ in Nouna antrat und dort drei Jahre verbrachte. Seitdem ziehen sich Reisen nach Burkina Faso wie ein roter Faden durch seinen Lebenslauf, mittlerweile mit zahlreichen Forschungsprojekten.

Rainer Sauerborn ist verheiratet, hat vier Kinder und lebt in Heidelberg. Rezepte fremder Länder probiert er auch gerne am eigenen Herd aus.

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 11.06.2018
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