Prof. Dr. Peter Oster
Ärztlicher Leiter vom Bethanien-Krankenhaus - Geriatrisches Zentrum Heidelberg
Interview vom 28. Februar 2008 mit Dr. Birgit Teichmann
Herr Professor Oster, Sie sind Ärztlicher Leiter des geriatrischen Zentrums Bethanien und haben hier hauptsächlich mit älteren Patienten zu tun. Ab wann ist ein Mensch alt?
Da kann man ganz viele Definitionen geben. Man ist alt, wenn man sich alt fühlt, also die subjektive Wahrnehmung ist eine sehr wichtige Sache. Da gibt es schöne Geschichten dazu. Manche sagen auch, wenn die Hälfte des eigenen Jahrgangs gestorben ist. Man kann darüber nachdenken, da ist auch etwas Wahres dran. Oder wenn man drauf kommt, dass die Eltern meist Recht hatten und die Jungen zu einem sagen, man hat keine Ahnung, dann ist man auch alt geworden. Die subjektive Wahrnehmung spielt eine große Rolle. Man weiß ja heute, dass z.B. viele Menschen, die objektiv eigentlich relativ krank sind, sich subjektiv jung fühlen und auch wenig in ihrem Alltag beeinträchtigt sind.
Warum gibt es eine spezielle Medizin für Ältere Menschen, die Geriatrie?
Weil die Medizin für ältere Menschen anders ist. Weil ältere Menschen Bedürfnisse haben, die sich von denen jüngerer Leute unterscheiden und viel mehr in den Vordergrund zu stellen ist, welche funktionellen Einschränkungen die Leute haben und was man eben üben muss. Ist es jetzt die Fortbewegung, ist es das Gedächtnis, ist es die Stimmung. Das sind Dinge die geprüft werden müssen, die man auch jeweils behandeln und angehen kann. Die Krankheiten, die Menschen haben, können manchmal der Schlüssel für die Behandlung sein, also man kann durch Verbesserung der Diabeteseinstellung mit Insulin verschiedene Beschwerden bessern, bei anderen gibt es solche Möglichkeiten nicht, da muss man zum Beispiel trainieren, aber die Wissenschaft macht ja immer weitere Fortschritte. Vor wenigen Jahren gab es 15 Arbeiten im Jahr zum Thema Gebrechlichkeit auf der Welt und inzwischen sind es 1000 im Jahr. Also dies ist ein Gebiet das sich gerade entwickelt und wo Ansatzpunkte gesucht werden, auch Differenzialdiagnosen der Gebrechlichkeit zu machen. Was früher als einfaches Altersphänomen hingenommen wurde, da ist jemand alt geworden, „frailty“ als ein gewisses Endstadium und heutzutage muss man davon ausgehen, es gibt einige Formen von dieser Gebrechlichkeit, die behandelbar sind. Es gibt andere Formen, da ist es wirklich ein Endstadium, das man nur noch hinnehmen kann.
Spielt die Multimorbidität eine große Rolle, d.h. dass in anderen gewöhnlichen Krankenhäusern eine bestimmte Krankheit berücksichtigt wird, aber die älteren Menschen doch meistens mehrere Krankheiten auf einmal haben, die vielleicht hier besser zusammen therapiert werden können?
Es ist zum Beispiel eine Katastrophe wie die politische Gesundheitspolitik ist, weil wir ja das DRG System haben, also „diagnosis related groups“ und das ist genau kontraproduktiv zu dem, was die geriatrische Medizin eigentlich möchte, nämlich funktionell begründet, direkt auf den Patienten gerichtete Vorgehensweise und wie sie sagen, die alten Menschen haben einfach viele verschiedene Krankheiten, aber das ist heute nicht gefragt, man muss heute eine ganz gezielte Diagnose angehen, die darf man behandeln und der Rest muss mehr oder weniger unter den Tisch fallen.
Spielen auch Pflegekonzepte in ihrer Klinik eine große Rolle, d.h. dass die Patienten ganz anders gepflegt werden und dem Rechnung getragen wird, dass es sich hier um ältere Patienten handelt?
Ohne Pflege ist die Versorgung von älteren Menschen überhaupt nicht möglich und wir sprechen ja oft von einem interdisziplinären Team und das ist auch tatsächlich so, also Pfleger, Therapeuten, Sozialarbeiter, Ärzte natürlich, aber auch die ganzen anderen Berufsgruppen gehören dazu und es ist ganz interessant, welche unterschiedlichen Ansätze von Interdisziplinarität existieren. Wenn in der Medizin von interdisziplinär gesprochen wird, bedeutet das meistens verschiedene Medizinfachgruppen, also Fachärzte wie Urologen, Gynäkologen, Internisten und Chirurgen arbeiten z.B. zusammen im Kontinenzzentrum. Wenn die Geriater von interdisziplinär reden, meinen sie in der Regel die Zusammenarbeit mit Pflege, mit Therapeuten, das ist also ein anderer Ansatz.
Sie haben auch eine Palliativstation. Wann entscheidet ein Patient zu ihnen zu kommen? Ist es nur vom Alter abhängig, ob man sich für ein Universitätskrankenhaus oder für ein Geriatrisches Zentrum entscheidet oder erwartet ihn hier etwas anderes?
Ich denke ihn erwartet durchaus anderes. Also wir fragen sicher viel häufiger, welchen Sinn die Maßnahmen haben. Es ist in der Medizin ja leider so, dass häufig Programme abgespult werden, dass irgendwelche leitliniengerechten Verfahren durchgezogen werden und auch manches relativ Unsinnige untersucht wird, wenn ich das so ungeschützt sagen darf. Wir versuchen schon zu überlegen, was dem individuellen Patienten nutzt und was sein Ziel ist. Wenn sie die Palliativmedizin ansprechen, das ist ja nur ein ganz kleiner Teil unseres Hauses, aber das haben wir, denke ich, in Deutschland so ein bisschen auf die Agenda gebracht, die palliativ-medizinische Geriatrie. Palliativmedizin ist ja bis vor zwei oder drei Jahren im Wesentlichen als onkologische Spezialität verstanden worden, Hauptinhalt Schmerztherapie, vielleicht noch ein paar Aidspatienten, die dort betreut werden. Wir haben hier im Haus, und allgemein auch in der Geriatrie, sicherlich das Spektrum versucht insofern zu erweitern, als beispielsweise Schlaganfallpatienten, die nicht mehr weiter rehabilitierbar sind, in eine palliativ-medizinische Situation kommen können, indem Patienten mit einer schweren Herzinsuffizienz, die über Jahre abwärts führt, in eine Situation kommen, in der auch die Lebenskraft erlahmt oder auch Patienten mit Demenz, wenn Schluckstörungen noch dazu kommen, wo man sich immer wieder die Frage stellt, ist da eine künstliche Ernährung angebracht und sinnvoll und hätte das der Patient, wenn er sich noch entscheiden könnte, wirklich so gewünscht? Das sind oft sehr aufregende Gespräche, die geführt werden müssen und eine sehr große Verantwortung.
Besonders interessant finde ich ihre Idee der internistischen Station für Demenzpatienten. Könnten Sie uns darüber ein bisschen was erzählen?
Das war auch ein Modellprojekt, das bis zum letzten Jahr von der Robert Bosch Stiftung gefördert wurde, eine geriatrische internistische Station für akut erkrankte Demenzpatienten. Ausgehend von der Überlegung, dass verhaltensauffällige Demenzpatienten, insbesondere solche, die gerne weglaufen, die unruhig sind, den Stationsbetrieb völlig durcheinanderbringen, wenn nicht sogar lahmlegen und die Pflegekraft dies unterbinden muß, sind wir eben hergegangen und haben einen Teil einer Station mit einer Tür abgetrennt. Diese haben wir zugemacht, ein Codeschloss angebracht und ein Zettel aufgehängt mit der Aufschrift: „Zum Öffnen der Tür bitte die Jahreszahl eintippen“. Damit war ein geschützter Bereich geschaffen. In dem geschützten Bereich gibt es ein Wohnzimmer, das mit alten Möbeln ausgestattet ist, also ein Ort, an dem sich die Patienten wohlfühlen können, außerdem hat man etwas Fläche zum Laufen. Es ist ganz erstaunlich zu sehen, wie manche Patienten, die als unruhig, als nicht führbar galten, in diesen Bereich kommen und sofort ruhig waren, zufrieden waren, keine Psychopharmaka brauchten. Sonst war man manchmal dazu gezwungen, die Patienten so stark zu beruhigen, dass sie keine Aktionen mehr vollführen können.
Sie sind Mitglied im Netzwerk Alternsforschung. Was erwarten Sie in Bezug auf ihre Arbeit von dieser Mitgliedschaft im Forschungsverbund?
Also in erster Linie natürlich sachliche Anregungen, Kooperationen, Weiterentwicklung von Konzepten, Ideen zu neuen Konzepten und als außeruniversitäre Einrichtung als Krankenhaus Bethanien sind wir natürlich auch auf finanzielle Unterstützung angewiesen, weil wir nicht die geringste Forschungsinfrastruktur haben, aber immer wieder doch in den letzten Jahren gezeigt haben, dass wir innovative Dinge mit praktischem Bezug auf den Weg gebracht haben, wie zum Beispiel die Kontinenzberatung, die sich inzwischen weit verbreitet hat, z.B. auch die medizinische Trainingstherapie des Kraft- und Koordinationstraining oder auch schon vorhin angesprochene Konzepte.
Zur Person
Peter Oster, geboren 1946 in Frankfurt Höchst, erhielt seine wissenschaftliche Ausbildung in der Pharmakologie Heidelberg mit den Schwerpunkten experimentelle Hypertonieforschung, Fettstoffwechsel und Ernährung. Die ärztlichen Tätigkeiten führten ihn nach Berlin, Heidelberg und Bern. Seit 1981 ist er am Bethanien-Krankenhaus, Geriatrisches Zentrum am Klinikum der Universität Heidelberg, tätig und befasst sich seither mit den Problemen der Alternsforschung. 1999 wurde er Ärztlicher Direktor des Geriatrischen Zentrums Bethanien.
Peter Oster spielt seit über 30 Jahren Fußball im Hochschulsport und betont, dass noch kaum ein Training ausgefallen ist. Er sieht dies nicht nur als sportliche Aktivität, sondern als fortwährendes Sozialexperiment, das alt und jung vereint. Peter Oster ist großer Anhänger der Heidelberger Kult-Comedy Zungenschlag.