Kätchen Erny

Hundertjährige aus Mannheim-Seckenheim, geboren 1909.

 

Fotos Erny

 

 

 

 

 

 

 

Interview vom 3. November 2009 mit Dr. Birgit Teichmann

 

Frau Erny, am liebsten würde man von Ihnen ein Patentrezept hören, wie Sie es geschafft haben, 100 Jahre alt zu werden – und dabei noch so rüstig zu sein. Gibt es dieses Patentrezept?

Ich sage immer: Nicht so viel essen, nicht so viel trinken, vor allem keinen Alkohol, nicht rauchen und immer etwas arbeiten. Und immer viel bewegen! Ich arbeite gerne im Garten, das mache ich heute noch gerne.

 

Gibt es eine Glückwunschkarte vom Bundespräsidenten beim 100. Geburtstag?

Ja, nicht nur vom Bundespräsidenten, auch von der Stadt. Allerdings gibt es diese Dinge auch schon früher, d.h. auch zum 80. und 90.

 

Können Sie uns etwas aus ihrem Leben berichten?

1929 habe ich geheiratet und am 01. Oktober 1930, an dem Tag, an dem Seckenheim eingemeindet wurde – es gab ein großes Fest – ist mein Sohn auf die Welt gekommen, als erster Mannheimer Bürger. So kleine besondere Dinge muss man sich merken!

Mein Mann war Zimmermeister und hat das Geschäft von seinem Vater übernommen. Anfangs ging es nicht so gut, denn in Seckenheim gab es drei Zimmermeister und es gab nicht viel zu tun. Die Brüder meines Mannes, Georg und Karl, sind 1914 in den Krieg gegangen und beide gefallen. Mein Mann war gelernter Dreher und wollte eigentlich gar kein Zimmermann werden, musste aber dann umlernen. 1932 hat mein Schwiegervater gefragt, ob wir das Geschäft übernehmen möchten. So hat mein Mann die Meisterprüfung gemacht, da hatten wir Arbeit. Und ich bin aber auch noch arbeiten gegangen. 1952 haben wir dann das Sägewerk dazu aufgebaut und ich musste die schriftlichen Arbeiten und Angebote erledigen.
Meine Schwiegermutter war eine tüchtige Frau. Sie hatte 14 Kinder – früher war das normal. Ich habe drei gehabt und gesehen wie viel Arbeit das war. Und früher hatte man ja keine Maschinen. Und trotzdem hat sie auch noch für andere Leute gewaschen.

 

Sie haben bestimmt auch eine große Familie?

Oja! Ich habe 7 Enkel, sie sind alle gut geraten und Urenkel habe ich auch. Philipp ist 7 Jahre alt und kommt oft her. Ich hole für ihn immer in der Apotheke die Junior-Zeitschriften, die sind richtig interessant, da kann man viel lernen, und dann lesen wir die zusammen.

 

Gab es irgendwann einen Rollenwechsel, so dass Ihre Kinder die Mutterrolle übernommen haben?

Wir waren eine Großfamilie, mit teilweise vier Generationen in einem Haus. Da war der Wechsel fließend. Das hat einen großen Vorteil. Dadurch, dass immer Jüngere da waren, hat man immer alles mitbekommen und war gefordert. Einzelkinder tun mir schon manchmal leid. Eine Geschichte muss ich noch erzählen. Das war ungefähr 1917, mein Vater war noch im Krieg und meine Mutter sagte: Dieses Jahr kann ich keinen Christbaum kaufen, wir haben kein Geld. Nicht weit von uns hat eine Familie so zwei bis drei Wochen vor Weihnachten immer Christbäume verkauft. Wenn die Bäume angeliefert wurden, sind immer Äste abgefallen. Und da meinte mein Bruder: Ich haben eine Idee. Ich suche einen Stock und wenn wieder Bäume angeliefert werden, dann stellst du dich auf die eine Seite vom Tor und ich mich auf die andere. Aber du rennst schnell und wir sammeln die Äste. Und so hat er selbst einen Baum gebastelt. In den Stock hat er Löcher gemacht und dann die Äste reingesteckt. Und dann kam die Frau, die die Bäume verkauft hat und hat uns gerufen. Wir hatten schon Angst, dass wir etwas angestellt haben und Sie sagte: Ich habe gesehen was ihr gemacht habt. Kommt mal mit, hinten im Schuppen habe ich etwas. Dann sind wir mitgelaufen und sie gab uns einen kleinen (verkruzten) Weihnachtsbaum und sagte: Den wollte niemand, den konnte ich nicht verkaufen, ich schenke ihn euch. Mein Bruder hat den echten Baum unter den Arm genommen und ist nach Hause gerannt und gerufen: Mutter, Mutter, ich habe einen Baum. Mein Bruder war zwei Jahre jünger als ich und hatte immer gute Ideen. Der war schlau!

 

Wie sieht es mit der Zukunftsplanung aus? Machen Sie noch Pläne?

Pläne macht meine Tochter. Aber wenn ich gesund bleibe, dann gehe ich weiter in meinen Sport, in den SV98/07. Das Vereinshaus haben wir – die Mitglieder - ja selber gebaut, mit eigenen Kräften. Wir hatten einen guten Vorstand, ohne ihn wäre das nicht gegangen. Wir waren alle Arbeiter – ein reiner Arbeiterverein war das. Wir haben jedes Jahr einen Vereinsausflug gemacht und alle haben sich gefreut. Der Verein war und ist ein wichtiger Sozialfaktor. Wir haben mit dem Verein gelebt und jetzt gehe ich auch noch zweimal die Woche zur Gymnastik.

 

Wie sind Sie denn zu ihrem Verein gekommen?

1914 musste mein Vater in den Krieg. Er ist gleich am 03.08.1914 fortgegangen und kam erst 1918 wieder. Ich weiß gar nicht, wie meine Mutter das alleine geschafft hat, wo sie überhaupt das Geld her bekam, um uns drei Kinder zu ernähren. Als mein Vater wieder da war, hat er uns erzählt, dass im Deutschen Hof jetzt eine Abteilung mit Turnen aufgemacht wurde und fragte, ob wir nicht hingehen wollten. Es waren ungefähr 20 Kinder, große und kleine. Wir haben alle Sportarten gemacht. Weit- und Hochsprung, am Barren, am Reck, am Pferd. Der Arbeitersingverein war auch dort und der Dirigent hat uns noch Lieder beigebracht. Unsere Jungend war schön – obwohl es schlechte Zeiten waren.

 

Welche Sportarten haben Sie am liebsten gemacht?

Am liebsten Geräteturnen. Das habe ich gerne gemacht. Da bekam ich viel Preise und auch einen ersten Preis bei der Kreismeisterschaft.

 

Spielt Musik eine Rolle in Ihrem Leben? Hat sich Ihr Musikgeschmack im Laufe Ihres Lebens verändert?

Ich habe zwei Mädchen gehabt und einen Jungen und wenn wir Geschirr gespült haben, haben wir immer gesungen. Meine größere Tochter und ich immer die erste und zweite Stimme. Und wenn ich jetzt nachts aufwache und nicht schlafen kann, überlege ich mir, welche Lieder wir früher gesungen haben und fang nachts an zu singen.
Heute singen wir nicht mehr beim Turnen, da läuft der Kassetten-Recorder. Früher hatten wir einen Klavierspieler – der ist gerne gekommen und hat genau aufgepasst, ob wir im Takt mitkommen und sonst langsamer gespielt. Jetzt haben wir sogar Musik im Haus. Einen Hausmusikstammtisch alle vier Wochen mit Volksliedern, Schlagern etc.. Manchmal schalte ich das Radio an und dann singe ich mit. Meine Mutter hat mit 98 Jahren noch im Radio mitgesungen.

 

Was sind Ihrer Meinung nach die drei wichtigsten Erfindungen des letzten Jahrhunderts?

Also die Waschmaschine war schon wichtig und der Gasherd und das Licht. Man musste die Schularbeiten früher bei Tageslicht machen, da man sonst ja gar nicht richtig gesehen hat. Wen es dunkel wurde, gingen wir ins Bett und Vater erzählte oder wir machten Ratespiele.

 

Sind Sie gerne verreist?

Mit meinem Vater sind wir immer im Seckenheimer Wald gegangen. Und manchmal bin ich mit meinem Vater nach Ilvesheim, dann über die Ladenburger Brücke bis an die Strahlenburg nach Schriesheim gelaufen. Wir haben dann Maiglöckchen und Waldmeister gepflückt und die Sträuße durfte ich dann den Nachbarn bringen.
Mit den Turnerinnern mache ich jedes Jahr einen Ausflug. Als meine Kinder klein waren, sind wir immer verreist. Wir hatten ein Auto und dann ging es nach Italien, an den Gardasee zelten, später nach Spanien. Geflogen bin ich auch, das erste Mal 1970 nach Bulgarien, danach nach Mallorca, Israel. Die Turnerinnen haben mir auch mal eine Reise geschenkt. Das war schön. Auch viel Busfahrten haben wir unternommen, die längste bis an das Nordkap.

 

Gibt es irgend etwas, über dass Sie sich besonders ärgern?

Ich bin so ein Typ, wenn ich mich ärgere, dann schlucke ich und dann geht es wieder.

 

Haben Sie Angst vor der Schweinegrippe?

Nein, habe ich nicht. Wir gehen jetzt nicht ins Ausland. Wir waren gerade eingeladen und da waren auch junge Leute mit einem kleinen Kind und die Mutter erzählte, gegen was ihr Kind schon alles geimpft wurde. Ich habe gesagt: Die ist ja schon vergiftet und habe ihr von meinen Kindern erzählt: Meine Tochter ist 1942 auf die Welt gekommen. Am 31. August um halb zehn abends ist sie auf die Welt gekommen, d.h. gerade noch rechtzeitig, dass sie 1948 in die Schule gehen konnte. So kleine Glückssachen, wie die zweieinhalb Stunden, muss man sich merken. Und in der Nacht kamen die Flieger, so dass ich so aufgeregt war, dass ich Fieber bekam und keine Milch hatte. Ich durfte dann nicht in den Keller, da ich Fieber hatte. Als ich dann nach Hause durfte und mit der OEG heim gefahren bin, bin ich in die Apotheke und habe nach Trockenmilchpulver gefragt. Aber dafür brauchte man einen Bezugsschein und den hatte ich nicht gehabt. Und der Apotheker wollte mir das Milchpulver ohne Bezugschein nicht geben. Ich habe ihm dann gesagt, dass mein Kind ohne Milch doch verhungert – da bekam ich doch eine Dose. Ich bin dann zum Arzt und der hat es mir verschrieben. Das habe ich dann der Frau gesagt: So war das, als meine Kinder auf die Welt gekommen sind. Die sind noch Natur!

 

Wenn Sie sich ein Leben aussuchen dürfte, würden Sie sich Ihres aussuchen oder denken Sie, es hätte auch einiges anders laufen können?

Nein, nein, ich bin mit meinem Leben zufrieden – mein Leben war schön!

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 06.11.2012
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