Prof. Dr. Eckart Altenmüller

 

Institut für Musikphysiologie und Musikermedizin der Hochschule für Musik und Theater Hannover

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Interview vom 15.03.2012 von Susanne Dick

 

Sie haben im Rahmen des NAR-Seminars über das musikalische Lernen im Alter gesprochen. Welche Auswirkungen hat das Musizieren auf Ältere?

Auf Ältere hat das Musizieren im Prinzip ganz ähnliche Auswirkungen wie auf Kinder und Jugendliche. Es ist so, dass wie bei Kindern die Freude am Musikmachen die Lebensqualität steigert und auch die neurobiologischen Auswirkungen ganz ähnlich sind. Es kommt zu Vernetzungen im Gehirn.Dabei werden die Bewegungszentren des Gehirns mit den Hörzentren und den Sehzentren und auch mit den Zentren, die planen, vernetzt. Für Letzteres muss man bedenken, dass jede Bewegung am Musikinstrument eine geplante, vorausschauende Bewegung ist. Außerdem wird das Ganze dann über die emotionalen Netzwerke mit einer positiven emotionalen Bewertung versehen. Und das führt dann dazu, dass diese Vernetzungen ganz besonders effizient sind und sehr schnell stattfinden. Bereits nach der ersten halben Stunde können wir Spuren des Instrumentallernens im Gehirn nachweisen, nämlich beginnende Verbindungen zwischen den Hörzentren und Bewegungszentren.

 

Was motiviert eine steigende Anzahl von älteren Menschen dazu, im Alter ein Instrument zu erlernen?

Ich denke, dass wir eine große Nachholgeneration haben. Es sind viele Menschen, die in der Nachkriegszeit aufgewachsen sind, als die Eltern noch unter sehr schwierigen Bedingungen gelebt haben, die dann ins Erwerbsleben eingetreten sind und nie die Zeit hatten, ein Instrument zu lernen. Andere mussten aus verschiedenen Gründen ihr Instrument aufgeben. Und heute sind viele Senioren sehr gesund und haben viel Freizeit, um noch etwas zu tun, was einerseits Gruppenzusammenhalt fördert, z. B. Kammermusik oder Spielen im Orchester, anderseits auch die persönliche Weiterbildung auf emotional befriedigende Weise ermöglicht.

 

Welche Herausforderungen sehen Sie bei Menschen, die im Alter ein Instrument neu erlernen?

Ein Hauptpunkt ist eigentlich in der ganzen Seniorenpädagogik bekannt, nämlich das Problem, dass die Selbstansprüche zu hoch gesetzt werden. Manche Senioren kommen gewissermaßen in die erste Klavierstunde mit einer CD von Lang Lang und sagen dann: So möchte ich Klavier spielen. Man muss mit dem älteren Menschen anfangen, diese Ansprüche zu korrigieren und sie behutsam auf ihr Leistungsprofil einstimmen. Wobei von Bedeutung ist, dass alte Menschen nicht Etüden spielen wollen, sie brauchen nicht diese Art von curricularem, dogmatischem Vorgehen, sondern sie wollen eher etwas tun, was ihrem Lebensfeld näher ist. Also z.B. das Begleiten ihres Flöte spielenden Enkelkindes am Klavier oder das Spielen eines Weihnachtsliedes. Das sind dann Dinge, die viel wichtiger sind als der richtige Fingersatz in der C-Dur Tonleiter.

 

Ist etwas darüber bekannt, ob es Unterschiede zwischen Neuanfängern und denjenigen gibt, die schon in der Kindheit oder Jugend ein Instrument gelernt und es dann aufgrund anderer Verpflichtungen unterbrochen haben?

Es ist in der Tat so, dass diejenigen, die schon in der Jugend ein Instrument gelernt haben, sich sehr viel leichter tun und sehr viel schneller an die alten Möglichkeiten anknüpfen können. Zum Teil sind sogar die körperlichen Voraussetzungen dafür noch erhalten. Wir wissen aus unseren hirnphysiologischen Untersuchungen, dass Gedächtnisspuren z.B. für auditiv sensomotorische Vernetzungen, also zwischen Hören und Bewegen, total stabil sind und noch 30, 40, 50 Jahre lang überleben können. Wir haben in der Schlaganfallforschung eine Studie gemacht, in der man sehr schön sehen konnte, dass Menschen mit Schlaganfällen – wenn sie in der Jugend oder als Kind ein Musikinstrument gelernt haben –nach vielen Jahrzehnten ganz schnell wieder an die alten Leistungen des musikalischen Aktivitätsfeldes anknüpfen konnten.

 

Welche Voraussetzungen sollten gegeben sein, damit im Alter möglichst optimal musikalisch gelernt werden kann?

Ein ganz wichtiger Punkt ist das Interesse, die Freude und die Motivation. Dann auch, dass das richtige Instrument ausgesucht wird. Da muss man einfach schauen: Wenn jemand sehr schlechte Zähne hat, dann sind meistens Blasinstrumente nicht so gut. Wenn jemand eine sehr eingeschränkte Beweglichkeit der Handgelenke hat, dann ist die Geige, ein Streichinstrument ungünstig. Wenn jemand beim Sitzen Schmerzen im Knie hat, dann ist das Klavier nicht so günstig. Es hängt auch viel davon ab, was der Schüler sich vorstellt. Ein weiterer Punkt ist, dass man die Erwartungen, die der Schüler an sich selber und an seinen Fortschritt stellt, vorab klärt und dann entsprechend versucht zu korrigieren. Wie gesagt, wenn jemand mit der CD von Lang Lang in den Unterricht kommt und sagt: ich möchte jetzt die Liszt-Sonate in einem Jahr spielen können, dann ist das in aller Regel nicht realistisch.

 

Sokoll: Administrator
Letzte Änderung: 29.08.2012
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