Sabine Schulz
Alzheimer Gesellschaft Mannheim-Selbsthilfe Demenz e.V.
Interview vom 12. Mai 2015 zum Vortrag „Krankenhaus und Demenz – Was ich als Angehöriger wissen muss (durchgeführt von Dr. Birgit Teichmann)
Wie wichtig ist die Rolle der Angehörigen von Menschen mit Demenz beim Krankenhausaufenthalt?
Extrem wichtig. Denn die Krankenhäuser können die Begleitung dieser Patienten in dieser Weise, wie wir es uns wünschen, nicht leisten. Der kranke demente Mensch fühlt sich sofort allein gelassen in der ihm völlig fremden Umgebung, unter vielen fremden Menschen, in der Kälte, die ihn plötzlich umgibt. Und deshalb ist es ganz wichtig, dass Angehörige so viel Zeit wie möglich mitbringen, beim Füttern oder beim Spazierengehen helfen, um den körperlichen Status zu erhalten, den der Patient hatte, bevor er in das Krankenhaus kam. Auch können Angehörige nach durchgeführten Operationen den Patienten helfen, wieder auf die Beine zu kommen, wohl wissend, dass der Stand der Demenz sich inzwischen verändert haben kann. Es darf also niemals außer Acht gelassen werden, dass der Angehörige ganz viele Dinge übernehmen muss, die das Krankenhaus nicht leisten kann.
Was kann ich als Angehöriger tun, um einen Krankenhausaufenthalt vorzubereiten?
Die Vorbereitung ist so, dass ich natürlich besser nicht wochenlang mit dem Kranken darüber spreche, dass er demnächst in ein Krankenhaus kommen wird, weil damit häufig schon eine Überforderung einhergeht. Es lohnt sich aber, schon im Vorfeld den Kontakt mit dem Krankenhaus selber, mit der Aufnahme und mit den Menschen, die Operation vornehmen werden, aufzunehmen. Ich muss dafür Sorge tragen, dass die Information „Mein Angehöriger ist dement!“ an alle Stellen, die mit meinem Angehörigen zu tun haben werden, überhaupt erstmal ankommt. Da es ein dehnbarer Begriff ist – da gibt es Stufe eins bis Stufe drei – ist es auch ganz wichtig, dass ich vorbereitend eine Liste mit den Dingen abgebe, die mein Angehöriger bis jetzt noch machen konnte. Die Information muss weitergegeben werden, wo der Demenzkranke tatsächlich Unterstützung und Hilfe benötigt, sodass eine Pflegekraft diese Dienste übernehmen kann, wenn ich mal selber ausfallen sollte. Es ist wichtig, dass man sich vorher schon erkundigt, ob nicht eventuell ein Rooming-in möglich wäre, denn das nimmt dem Angehörigen ganz viele Ängste. Außerdem kann man dadurch, dass man im Grunde Tag und Nacht bei seinem Angehörigen ist, schon eine Art Normalität herstellen und Stresssituationen viel besser erkennen. Das sind alles Dinge, die man von zuhause aus langfristig vorher regeln muss, denn auch ein Rooming-in ist nicht ohne weiteres zu ermöglichen.
Wie können sich Angehörige über demenzfreundliche Krankenhäuser erkundigen? Es gibt nicht immer nur Akutsituationen, dass ein Patient ins Krankenhaus muss oder irgendwelche anstehenden Operationen, die eine gewisse Vorbereitung ermöglichen. Und dann möchte ich vielleicht ein bestimmtes Krankenhaus haben, das auch darauf eingestellt ist. Gibt es das und wie kann man sich darüber erkundigen?
Da gibt es Krankenhäuser, die sich bemühen und schon auch entsprechende Möglichkeiten inzwischen eingerichtet haben. Allerdings sind es noch viel zu wenige. Den Rat, welches Krankenhaus würden Sie empfehlen, sprechen wir z. B. als Alzheimer-Gesellschaft Mannheim ganz direkt aus. Denn durch Kooperation mit den Krankenhäusern haben wir natürlich in Erfahrung gebracht, welche Möglichkeiten ein bestimmtes Krankenhaus hat, Patienten mit jeweiligem Schweregrad der Demenz aufzunehmen. In der Regel sind in größeren Städten auch Psychiater und Fachärzte darüber unterrichtet, welches Krankenhaus geeignet ist. Es lohnt sich außerdem nachzuschauen, ob es einen geriatrischen Bereich im Krankenhaus gibt, denn dann hat man die ganz klare Aussage, hier kümmert man sich ganz besonders um alte und demente Menschen. Das sind die Möglichkeiten, die ich jetzt so spontan nennen kann.
Was kann ich als Angehöriger tun, um die Rückkehr nach Hause vorzubereiten? Gibt es vielleicht Situationen, in denen Menschen mit Demenz gar nicht mehr nach Hause zurückkommen, bspw. nach einer schweren Operation, wenn sich vielleicht die Demenz so verschlechtert hat, dass es besser wäre, den Angehörigen in ein Pflegeheim zu geben?
Um da zu einem guten Ergebnis überhaupt kommen zu können, ist es ganz wichtig, dass ich die Erkrankung wirklich sehr intensiv begleite und mich sowohl mit dem Fach- und Pflegepersonal als auch den Ärzten darüber unterhalte, wie die körperliche und geistige Entwicklung in der Zeit des Klinikaufenthaltes vonstattengegangen ist. Auch ich selber muss mit kritischen, liebevollen Augen schauen, wozu mein Angehöriger noch in der Lage ist, und wozu bin auch ich in der Lage. Was kann ich zu Hause tatsächlich mir zumuten, wie sind unsere räumlichen Gegebenheiten zu Hause, wo werde ich geistig und auch vom Pflegerischen her überfordert? Es ist, glaube ich, unabdingbar, mit dem Pflegepersonal die einzelnen Punkte durchzugehen und sich dann auch zu überlegen, wieviel Pflegedienstdamen z. B. den Tag über bei uns ankommen würden: die eine zum Wickeln, die andere zum Verabreichen der Medikamente, die nächste für die Spritze. Dann muss man im Grunde Soll und Haben gegenüberstellen und sollte zeitgleich sich Heime angeschaut haben, mit der Heim- und Pflegedienstleitung gesprochen haben, wie denn dieser Angehörige mit diesem Stand der Erkrankung in dem Heim aufgenommen würde. Und dann erst, wenn man sich mehrere Häuser ganz kritisch angeschaut hat, und zwar immer unter dem Aspekt: Da kommt ein schwerstdementer oder mittelschwerdementer Mensch mit einer zusätzlichen körperlichen Beeinträchtigung ins Haus. Wenn man diese Gespräche geführt hat, diese Räume angeschaut hat, dann muss sich die Familie zusammensetzen und für sich herausfinden, welchen Weg sie gehen möchte. Aber es ist unabdingbar, mit Pflegekräften, mit Ärzten und mit Heimleitung zu sprechen, um da zu einem Ergebnis zu kommen.
Die Aussage: „Zu Hause geht es dem Angehörigen doch so viel besser“ oder „Alle Heime sind schlecht“ – das kann man nicht so stehen lassen, vor allem dann, wenn man sehr viele Menschen zu Hause erlebt, denen es in Heimen objektiv besser ginge, weil einfach ein anderes Angebot dort ist, eine ganz andere Ansprache ermöglicht werden kann. Aber umgekehrt haben wir natürlich auch schwarze Schafe unter den Heimen, die für den Aufnahmefall körperlich behinderter Menschen und demenzkranker Menschen nicht vorbereitet sind. Sie können weder das eine noch das andere leisten. Es ist auch ein schwierigeres Kapitel, bei dem die Alzheimer-Gesellschaften auch gerne helfen.
Gibt es noch irgendwas, was Sie den Angehörigen mit auf den Weg geben möchten, besondere Tipps, worauf man achten sollte? Vielleicht wohnt auch nicht jeder Angehöriger in der Nähe der Mutter oder des Vaters mit Demenz?
Es ist ganz, ganz wichtig, dass man sich nach außen öffnet, eigentlich bei dieser Krankheit grundsätzlich, aber in schwierigen Situationen noch um einiges mehr. Dass ich den Mut haben muss, Freunde oder Nachbarn anzusprechen, ob sie nicht auch einen Besuch übernehmen könnten. Am besten ist es zu schauen, wie viele Besuche kann ich selber und wie viele können meine Freunde abstatten. Dann kann ein Besuchsplan aufgestellt werden, der mich selbst ein bisschen entlastet. In dieser Zeit kann ich schlafen oder selber einen Arzttermin wahrnehmen und kann außerdem ganz beruhigt sein. Denn es kommt nämlich auch gar nicht immer so sehr darauf an, dass ich selber als Ehefrau da bin oder dass der Ehemann da ist, sondern – und das erlebe ich sehr oft – es kommt einfach nur darauf an, dass ein fröhlicher, entspannter Mensch da ist, der den Kranken nicht überfordert und der keine Erwartungen an ihn hat, weil er einfach nur fröhlich und lustig ein paar Dinge erzählt und keine Fragen stellt, die kompliziert sind. Das ist etwas, was ich jedem Angehörigen mit auf den Weg gebe: Man darf ruhig den Freunden mal etwas abverleihen, von denen ich weiß, dass sie das auch als Freundschaftsdienst gerne machen würden. Ansprechen und es auf etwas breitere Schultern, mehr Schultern verteilen als es nur bei sich zu belassen, – das würde ich gerne noch mit auf den Weg geben.
Sie haben am Anfang gesagt, dass Sie einiges aufschreiben würden, was der Mensch mit Demenz noch kann, bestimmt ein paar biografische Fakten. Gibt es dafür Vorlagen, sodass jede Familie, die einen Angehörigen mit Demenz hat, das schon mal vorab ausfüllen kann um es ins Krankenhaus zu nehmen?
Gut organisierte Krankenhäuser haben solche Bogen entwickelt, die nicht nur für die Patienten entwickelt sind, die keine Demenz haben. Es ist auch eine unserer Bemühungen gewesen, dass man überhaupt erst mal diese Rubrik auch einrichtet. Dass man, wenn der Patient älter als 65 ist, auch ankreuzen darf, ob er besonders pflegebedürftig ist. Der erste kleine Hinweis vielleicht auf eine beginnende Demenz. Aber es darf meiner Meinung nach, auch sogar ein Stück weiter gehen und ist in vielen Bogen inzwischen enthalten, und zwar die Frage, liegt eine Demenzerkrankung vor: ja oder nein? In diesem Bogen, in dem es um eine Demenz geht, sind dann noch etwas andere Fragen zu beantworten. Etwas erweiterte Fragen, da geht es in allererster Linie darum, was der Mensch tatsächlich im Alltagsleben nicht mehr leisten kann. Ganz wichtig ist es anzukreuzen, dass er gefüttert werden muss, das Wasser muss ihm nicht in sieben Ein-Liter-Flaschen auf den Tisch gestellt werden, sondern muss ihm zugeführt werden. Und das kann man mit allerlei Ermunterung auch schaffen, dass viel getrunken wird. Dann muss auf diesem Bogen ergänzt sein, dass der Mensch orientierungslos ist. Es gibt demente Menschen, die man dann bei vier Grad minus im Park des Krankenhauses nur im Schlafanzug gekleidet wiederfindet. Wenn man diesen Hinweis gegeben hätte, bzw. wenn er wahrgenommen worden wäre, dann würden solche Fälle vielleicht weniger passieren. Wenn dieser Bogen im Krankenhaus nicht vorhanden sind, – darauf kann man sich nicht verlassen, – ist es keine so große Mühe, sich hinzusetzen und, wenn es kein Spontanfall ist, (dann muss man es eben nachreichen), und genau aufzuschreiben, wo denn Hilfestellung gegeben werden muss. Die Zähne putzen – das wird nicht mehr alleine gemacht, sondern ich muss die Zahnpasta auf die Bürste machen usw. All diese Kleinigkeiten, die für Sie so selbstverständlich geworden sind, weiß das Krankenhaus nicht, sie weiß das Pflegepersonal nicht. Und zunächst ist das Pflegepersonal davon ausgegangen, dass sich der Patient noch ein bisschen waschen, kämmen sich auch noch die Zähne putzen kann ... Das ist aber nicht so und Sie zu Hause wissen das besser. Bitte geben Sie dann also dem pflegenden Personal mal auch die Chance, diese Wissenslücke durch ein Blatt Papier, das man zu Hause erstellt hat, wenn es keinen Bogen im Krankenhaus gibt, dadurch abzubauen. Das will ich noch mitgeben.
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