Prof. Dr. Karen Steindorf

Zur Person

Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg, DKFZ

              

Fotos Steindorf
 
Interview vom 01. Oktober 2013 von Andreas Lauenroth

 

Frau Prof. Steindorf, Sie leiten am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) die Arbeitsgruppe Bewegung und Krebs. Woran genau forschen Sie dort?

Wir haben hier zwei große Forschungsbereiche. Zum Einen interessiert uns, inwieweit ein körperlich aktiver Lebensstil möglicherweise Krebsrisiken senken kann und zum Anderen inwiefern man durch Bewegung als begleitende Therapie, Krebspatienten helfen kann, ihre Krankheit zu bewältigen und dadurch möglicherweise sogar ihre Risiken für das Wiederauftreten der Erkrankung oder sogar für das Versterben zu senken. Darüber hinaus beforschen wir intensiv, welche biologischen Mechanismen den positiven Effekten von körperlicher Aktivität und Sporttherapien zu Grunde liegen.

 

Welche Rolle spielt die Bewegung in der Prävention von Krebserkrankungen?

Dass körperliche Aktivität zur Senkung von Krebsrisiken beitragen kann, ist mittlerweile anhand großer epidemiologischen Studien recht gut erforscht. Wir gehen heute davon aus, dass etwa 15% aller Krebsfälle durch ausreichende körperliche Aktivität vermieden werden könnten. Wir selbst haben eine Untersuchung speziell für Brustkrebs durchgeführt, die gezeigt hat, dass allein in Deutschland ca. 6000 postmenopausale Brustkrebsfälle pro Jahr vermieden werden könnten, wenn wir körperlich aktiver wären.

 

Wurde die Bewegung als Medizin bisher in der Behandlung von Krebspatienten unterschätzt?

Das ist sicherlich so. Lange Zeit galt die Annahme, dass sich Patienten besser schonen sollten, weil die Krankheit und auch die Therapien sehr herausfordernd und belastend sind. Dass man damit jedoch einen Teufelskreis in Gang setzt, das verstehen wir inzwischen mehr und mehr. Heute wissen wir, dass man durch körperliche Aktivität sowohl zur Krankheitsbewältigung aktiv stark beitragen kann, dass aber auch die Lebensqualität und Fitness der Patienten verbessert werden kann. Das ist natürlich sehr förderlich, um auch den Alltag wieder besser bewältigen zu können.

Zudem  gibt es erste Hinweise, dass auch die Therapien von körperlich aktiven Patienten besser vertragen werden. Das wäre natürlich sehr wichtig, da dann z.B. die Chemotherapiezyklen tatsächlich vollständig durchgeführt werden können und es zu weniger Therapie-Abbrüchen aufgrund von Nebenwirkungen kommt. Hierzu müssen aber noch weitere wissenschaftliche Studien durchgeführt werden.

 

Wie wirkt sich sportliche Aktivität auf die psychische Verfassung der Patienten aus?

Das ist ein weiterer großer Schwerpunkt unserer Arbeit in Heidelberg. Dazu führen wir gerade mehrere Studien durch, bei denen wir psychische Komponenten wie Lebensqualität und Fatigue in den Vordergrund stellen. Auch der Umgang mit Depressionen kann durch sportliche Aktivität spürbar verbessert werden. Bewegung ist auch sehr hilfreich für das Selbstbild und das Wohlbefinden. Sie ermöglicht es sowie seinen Körper wieder zu spüren, wieder ein engeres Verhältnis dazu zu bekommen und selbst einen Beitrag zur Therapie leisten zu können.

 

Lässt sich das Risiko, an bestimmten Formen von Krebs zu erkranken, durch sportliche Aktivität reduzieren? Haben Sie da vielleicht ein Beispiel?

Das ist bei den großen, häufigsten Tumoren auf jeden Fall so. Zum Beispiel bei Darmkrebs oder bei Brustkrebs beobachten wir diese Auswirkungen, wobei wir da etwas stärkere Effekte für postmenopausalen Brustkrebs haben, also Brustkrebs in späteren Lebensjahren. Ebenso reduziert körperliche Aktivität das Risiko für Lungenkarzinome, Pankreaskarzinome und Gebärmutterkrebs, und diese Liste der beeinflussbaren Krebsarten wird immer länger. Die erreichbaren Risikosenkungen liegen hier bei etwa 20-30%. Andererseits gibt es auch Formen, wie z. B. das Enddarmkarzinome, die scheinbar nicht mit einer Risikoreduktion durch körperliche Aktivität assoziiert sind.

 

Welche Formen der Bewegung oder sportlichen Aktivität sind für Betroffene besonders zu empfehlen?

Grundsätzlich hängt das natürlich ganz stark vom Zustand der einzelnen Patienten ab und auch von dem Trainingsziel. Das ist immer individuell auszurichten. Grundsätzlich eignen sich fast alle Sportarten und es gibt keine spezielle Krebssportart, für die wir sagen würden, diese hat sich als besonders wirksam erwiesen.

Wenn es noch Wundheilungsprozesse gibt, dann sollten die Patienten eher keine Kontaktsportarten wählen, aber umgekehrt ist es einfach sehr wichtig, dass sie einen Sport ausüben, der ihnen Spaß macht und mit dem die Patienten somit auch zu einem regelmäßigen Training gelangen können. Von daher eignet sich jede Sportart, die einem früher Spaß gemacht hat oder die einem jetzt auch neu Spaß machen würde. Das gilt sowohl im Ausdauerbereich, wie auch für den Krafttrainingsbereich. Wir empfehlen tatsächlich eine Kombination aus beidem.

Zudem kann es das Trainingsziel sein, mit speziellen Krafttrainingsformen ganz bestimmte Muskeln aufzutrainieren, z.B. beim Vorliegen von Metastasen oder bei verminderter Knochendichte, die gezielt verbessert werden soll. Zudem hat der Sport in der Gruppe noch eine soziale Komponente, die neben den körperlichen Effekten noch die psychischen Variablen wie z.B. die Lebensqualität verbessern.

 

Spielt auch die Krebsart eine Rolle?

Teilweise ja. Besonders  immunsupprimierte Patienten sollten natürlich nicht sofort in einem Gruppensport aktiv werden. Auf der Basis eines individuellen Gesprächs mit fachkundigem Personal sollte hier die Entscheidung getroffen werden. Hier am NCT bieten wir nach einer eingehenden sportlichen Grunduntersuchung ein breites Spektrum an Bewegungsangeboten für Krebspatienten an, das geht von Nordic Walking über Rudern bis zum Krafttraining. Die Palette unseres Angebots ist somit sehr breit.

 

Wenn Sie eine sportliche Bewegung empfehlen, wie häufig und intensiv sollte diese Bewegung aus- oder durchgeführt werden?

Auch das richtet sich ganz stark nach dem Zustand der Patienten. Wir trainieren bereits mit Patienten während der Chemotherapie, während der Strahlentherapie und hier muss natürlich die individuelle Verfassung berücksichtigt werden. Grundsätzlich ist es das Ziel, das man so trainiert, wie auch jeder normale, gesunde Mensch trainieren sollte. Täglich 30 Minuten moderater Aktivität, die man erreicht, wenn man z.B. einfach zügig geht, sind ratsam. Dieses Niveau kann man aber natürlich nicht von einer frisch operierten Patientin oder Patienten erwarten. Was wir zudem beobachtet haben, ist, dass es sich eventuell schon lohnt, bereits Patienten nach ihrer Diagnose, aber noch vor der Operation  zu trainieren, damit sie bereits mit einem guten Fitnessstand in die Therapiephase gehen.

 

Wann würden Sie Krebspatienten von einer körperlichen Aktivität abraten?

Sicherlich ist von körperlicher Aktivität unmittelbar nach einer Operation abzuraten. Die Wundheilung sollte weitgehend abgeschlossen sein, was in der Regel ca. 6-8 Wochen dauert. Dann gibt es natürlich einige Kontraindikationen, wie z.B. starke Knochenmetastasen oder Zustände, bei denen auch ein gesunder Mensch nicht trainieren sollte, wie fiebrige Erkrankungen oder sonstige Infekte und Schwindelgefühle. Unter diesen Umständen ist ein Training nicht sinnvoll.

Bei Krebspatienten direkt nach der Chemo- oder Strahlentherapie empfehlen wir zudem, einen Abstand von 24-72 Stunden zur nächsten Trainingseinheit einzuhalten.

 

Wo können Betroffene überhaupt sportlich aktiv werden und übernimmt die Krankenkasse die Kosten?

Es gibt durchaus schon einige Vereine mit speziellen Angeboten für onkologische Patienten, ebenso unser eigenes Angebot hier am NCT, mit dem wir sicherlich eine gewisse Leuchtturmfunktion ausüben. Wir sehen aber auch, wie wichtig es für die Tumorpatienten ist, diese Sportmöglichkeiten in der Nähe ihres Wohnortes zu haben. Deshalb bauen wir gerade auch ein Netzwerk mit örtlichen Vereinen und Partnern auf, um in der gesamten Region Kompetenzen zu vernetzen und zu etablieren. Anlaufpunkte für Betroffene können sowohl Vereine als auch Fitnessstudios sein. Man sollte aber immer ein Auge darauf haben, dass auch eine gewisse onkologische Kompetenz vorhanden ist. Auf Dauer ist natürlich unser Interesse, dass es ein flächendeckendes Angebot gibt, leider sind wir davon in Deutschland noch weit entfernt.

Die Kostenübernahme ist leider noch nicht so gewährleistet, wie wir uns das wünschen. Es gibt einige Möglichkeiten, die jedoch zeitlich befristet sind. Für einige Patienten gibt es die Möglichkeit, sich 50 Trainingseinheiten finanzieren zu lassen. Das gilt momentan leider (noch) nicht für das Krafttraining. Onkologischen Patienten kann man kein Krafttraining verschreiben, wobei wir gerade auch in unseren Studien sehen, wie hilfreich dieses ist. Da ist sicherlich noch einiges an Überzeugungsarbeit bei den potentiellen Kostenträgern erforderlich, aber ich denke wir sind auf einem guten Weg.

 

Jetzt noch ein persönliche Frage: Wie sportlich aktiv sind Sie selbst?

Das ist eine berechtigte Frage, weil einem als vollberufstätige Mutter mit 2 Kindern, einem interessanten, aber auch herausfordernden Beruf einfach wenig Zeit bleibt. Von daher muss ich möglichst viel körperliche Aktivität in meine normalen Alltagsabläufe einbauen. Fest verankert ist dabei, dass ich  mit dem Fahrrad zur Arbeit fahre. Das ist eine Strecke von 16km täglich. Im Sommer schwimme ich sehr gerne und wenn ich es umsetzen kann, jogge ich ab und zu. Natürlich würde ich gern mehr machen, vor allem, wenn man den ganzen Tag beforscht, wie gut körperliche Aktivität ist.

 

Zur Person

Karen Steindorf studierte von 1985-1991 Statistik und theoretische Medizin in Dortmund und Sheffield, UK. Während ihrer Promotion, die sie 1994 abschloss, arbeitete sie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) sowie am amerikanischen National Cancer Institut. Nach einer mehrjährigen Tätigkeit in der pharmazeutischen Industrie kehrte sie 1999 ans DKFZ) zurück und habilitierte 2007 an der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg im Fach Epidemiologie und medizinischer Biometrie. Derzeit leitet sie am DKFZ und am NCT die Arbeitsgruppe Bewegung und Krebs.

In ihrer Freizeit liest, kocht und isst sie sehr gerne, hält sich gerne mit ihrer Familie in der Natur auf und bereist spannende Orte und Länder.

 

 

 

 

 

Sokoll: Administrator
Letzte Änderung: 25.10.2013
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