Prof. Dr. Dr. h.c. Konrad Beyreuther

Zur Person

Gründungsdirektor des Netzwerkes AlternsfoRschung (NAR)
Konrad Beyreuther

Interview vom 24. April 2009 mit Dr. Birgit Teichmann 

 

Im April erschien im Journal of Alzheimer’s Disease eine Veröffentlichung über die Produktivität der Top 100 Alzheimer-Wissenschaftler. Gegenstand sind die seit dem Jahr 1980 veröffentlichten Forschungsarbeiten zum Thema Alzheimer Krankheit.

 

Wie viel Alzheimer Forscher gibt es weltweit?

Weltweit gibt es nahezu 25.000 Alzheimer Forscher. Das ist deshalb so beeindruckend, da es zur Zeit 26,6 Millionen Alzheimer Patienten auf der Welt gibt, d.h. auf nahezu 1000 Alzheimer Patienten kommt ein Wissenschaftler. Das ist eine gute Nachricht für ein Thema und ein Problem, das uns alle irgendwann einmal betreffen wird - wir müssen nur alt genug werden.

 

Wenn man das Ergebnis diese Studie ansieht, dann ist es doch so, dass die meisten Veröffentlichungen aus der Feder weniger Wissenschaftler kommen.

Alzheimer ist natürlich ein Thema,  das viele Wissenschaftler  anzieht. Für den einen ist es sein Lebensthema, für den anderen ist es eine Gelegenheit, schnell eine Publikation zu machen und sich dann aus diesem doch sehr durch Konkurrenz geprägten Feld wieder zurückzuziehen. Man muss einfach auch feststellen, dass die meisten Arbeiten, die diese 25.000 Alzheimerforscher publizieren, sich im Wesentlichen um ein einziges Eiweiß drehen. Da ist natürlich der Konkurrenzdruck sehr, sehr groß. Aber man muss auch anerkennen, dass die meisten Wissenschaftler aus den USA kommen. Dieses Land unternimmt enorme Anstrengungen dieses Thema angemessen wissenschaftlich zu bearbeiten. Unter den TOP 100 Wissenschaftlern sind weniger als ein Dutzend Wissenschaftler aus Deutschland vertreten und das ist natürlich, wenn wir uns die deutschen Zahlen einmal anschauen, zu wenig. Wir haben hierzulande etwa 1,2 Millionen Alzheimer Patienten, und müssten ja eigentlich, wenn man diese Zahl auf 1000 Alzheimer Patienten berechnet, mindestens auf  1200 Wissenschaftler kommen. Das ist nicht zu viel verlangt. Im Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen, das offiziell am 23. Juni 2009 in Bonn eröffnet wird, werden bei Vollbesetzung etwa 600-700 Wissenschaftler über die Alzheimer und andere neurodegenerative Erkrankungen arbeiten. Da es auch außerhalb dieses Zentrums bedeutende Alzheimer Forscher und Forschungen gibt, könnten diese 1200 Wissenschaftler tatsächlich erreicht werden. Deutschland würde dann seinen Anteil an der Weltleistung erbringen.

 

In dieser Übersichtsarbeit zur Alzheimer Forschungslandschaft wurde gezeigt wie wichtig Netzwerkarbeit ist. Diejenigen, die besonders gut vernetzt sind, haben ja den größten Teil der Publikationen veröffentlicht und die Einzelkämpfer fallen komplett heraus. Wie wichtig ist das gemeinsame Forschen, das Arbeiten in Netzwerken?

Das ist eine sehr gute Frage. Die Wissenschaft wird dadurch nicht besser aber effizienter. Die Zeiten haben sich vollkommen verändert. Als ich in der Alzheimer Forschung anfing, musste ich nahezu alle Techniken in meinem Labor etablieren und das ist natürlich extrem ineffizient. Ich bin Eiweißspezialist, andere sind Mikroskopiespezialisten, der nächste ist Arzt, der den Patienten besonders gut kennt. Der Nächste kennt sich bei Ernährungsproblemen, der Risikofaktorenanalyse, der Versorgungs- oder Pflegeforschung, in der Neuropathologie aus, usw. Eine Graphik in der benannten Publikation zeigt eindrucksvoll, dass die Wissenschaftler, die sehr viel miteinander arbeiten, auch in der Liste der 100 Topwissenschaftler auf dem Alzheimergebiet ganz oben stehen, also mit die führenden Wissenschaftler sind. Diese wichtige Erkenntnis hat generelle Bedeutung und ist deshalb auch in das Konzept für das Netzwerk AlternfoRschung eingeflossen.

Das Netzwerk Alternsforschung ist ja die einzige Institution in Deutschland, die in der Alternsforschung alle Gebiete vereint. Von der biologischen Grundlagenforschung bis zur biomedizinischen Forschung, von der Psychologie zur Soziologie, zur Gerontologie, zur Philosophie, zur Sportwissenschaft, zur Ökonomie. Es sind fast alle Fächer vertreten, die wir an dieser Universität haben. Wir brauchen „Tiefenbohrer“, die sich in der Tiefe treffen und nicht knapp unter der „Oberfläche“, um vielleicht einen Kaffee gemeinsam zu trinken. Es geht nicht nur um Zellen und Moleküle, es geht auch um Würde, Gefühle und Schmerzen, Sorgen und Zukunftsangst. Alle diese Themen müssen sinnvoll und wissenschaftlich bearbeitet werden, so dass die erzielten Ergebnisse auch Bestand haben und schnell einen Eingang in die Praxis finden. Eines der neueren Ergebnisse, das bei der Erforschung der Alzheimer Krankheit herauskam ist, dass der Patient nicht mehr geheilt werden kann, da sein Gehirn an vielen Stellen „leer“ ist – die Mehrzahl der Nervenzellen ist abgestorben. Ein leeres Gehirn kann man nicht therapieren! Es ist bereits 1998 publiziert worden, dass ein Patient im beginnenden leichten Stadium der Alzheimer Krankheit über 60% der Nervenzellen in bestimmten Gehirnbereichen verloren hat. Das ist so, als wenn ein Stück einer Überlandstromleitung fehlt. Da fließt kein Strom mehr in dieser Region. Und wenn wir dann in die nächsten Stadien gehen, 3 Jahre später sind es schon 60 bis 80% der Nervenzellen in diesem ganz speziellen Bereich, und in den letzten Stadien, die wir das schwere Stadium nennen sind über 90% der Nervenzellen kaputt. Die bekommt man nicht wieder und ob man das in Zukunft mit der Stammzelltechnologie hinbekommt, ist die große Frage, denn es handelt sich ja um das Gehirn eines Menschen und dieses Gehirn ist ein Leben lang geprägt worden. Ob neue Nervenzellen da wirklich dieses alte, dieses wunderbare, einzigartige Organ wiederherstellen können, das ist natürlich eine offene Frage.

 

Welchen Tipp würden Sie einem jungen Wissenschaftler mit auf den Weg geben? Sich früh zu spezialisieren oder den Blick für andere Bereiche nicht zu verlieren?

Ich denke beides ist wichtig. Interessant ist der Spezialist, der in der Lage ist, mit anderen Spezialisten zu kommunizieren. Das ist die wirklich große Stärke dieser Netzwerker. Die Wissenschaftssprache der anderen Fächer zu erlernen und deren Inhalte verstehen zu können, setzt natürlich auch eine gewisse Anstrengung voraus. Ich empfehle jedem jungen Studenten auch mal in andere Fächer reinzuschauen. Es gibt dafür das Studium Generale, Graduiertenkollegs wie das NAR Kolleg, das Marsilius Kolleg und spezielle Seminare. Auch das Netzwerk AlternsfoRschung bietet Seminare für die Öffentlichkeit an und diese Öffentlichkeit schließt auch den angehenden Wissenschaftler mit ein. Wir versuchen für diese Seminare Redner und Themen auszuwählen, die das ganze komplexe Thema des Alterns und die mit dem Altern zusammenhängenden Veränderung des Menschen auf allen Ebenen, geistig, körperlich, psychisch, verständlich darzustellen. Alle Veranstaltungen des Netzwerks AlternsfoRschung haben immer eine medizinische Komponente, eine die Bevölkerungssituation beleuchtende Komponente und eine, die den Menschen als einzigartiges Lebewesen, als kreativen Menschen, als Musik liebenden Menschen oder als sportiven Menschen darstellt.

 

Welche Perspektiven in Bezug auf die Heilbarkeit der Erkrankungen sehen Sie für die Zukunft?

Wir befinden uns ja im Jahr 103 nach der Beschreibung des ersten Alzheimers Falles. Alois Alzheimer (1864-1915) hatte eine Patientin, die mit 56 an Alzheimer gestorben ist – etwas, was relativ selten ist. Es gibt mittlerweile eine Handvoll neuer Wirkstoffe gegen die Alzheimer-Demenz, die im Augenblick in der vorletzten und letzten Phase der Erprobung sind, so dass wir einigermaßen optimistisch in die Zukunft schauen, den Prozess einmal aufhalten zu können. Aber eine richtige Therapie wird es erst geben, wenn wir ganz früh damit beginnen. Der Bürger ist gewöhnt, Probleme zu behandeln wenn sie da sind und nicht vorher. Prävention ist ein Thema das endlos diskutiert wird, ohne dass die Verantwortung des Einzelnen wirklich gestärkt wird. Es gibt aber eine Reihe von wirklich sinnvollen Vorschlägen. Das Netzwerk AlternsfoRschung hat gerade ein Seminar zum Thema Therapie bei Demenzen veranstaltet. Diejenigen, die nicht die Gelegenheit hatten, an diesem Seminar teilzunehmen, laden wir sehr herzlich ein, auf unserer Webseite die Beiträge anzuschauen oder den Tagungsband zu "Training bei Demenz" sich anzusehen..
 
Im Jahr 2050 werden wir in Deutschland nicht mehr nur 1,2 Millionen Alzheimer Patienten haben sondern 4,8 Millionen, wenn die Wissenschaft nicht vorankommt. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir die Zahl der Alzheimer Patienten zu diesem Zeitpunkt auf die Hälfte der heutigen Zahl gesenkt haben. Aber hierfür müssen wir die Bevölkerung dazu motivieren, die Prävention selbst in die Hand zu nehmen und die derzeit erarbeiteten Präventionsmaßnahmen selbst umzusetzen.

 

Weitere Informationen

 

Abbildung zur primären Prävention

Abbildung zur primären Prävention

Anmerkung: Mausmodelle der Alzheimer Aß Amyloidpathologie erlauben eine Überprüfung von Präventionsempfehlungen, die aus epidemiologischen Studien abgeleitet werden sowie medikamentöser Therapiestrategien. Es konnte gezeigt werden, dass ausgewogene Ernährung („Mediterrane“ Ernährung), eine anregende Umgebung (Kontakte, Lernen) und Bewegung die Aß Amyloidpathologie bei diesen Mäusen drastisch vermindern.

 

Zur Person

Konrad Beyreuther, geboren 1941, Direktor, Forscher und Bundesverdienstkreuzträger, Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, als Staatsratmitglied der Baden-Württembergischen Landesregierung vom Februar 2001 bis Juni 2006, war entscheidend an der Entdeckung der chemischen Struktur der charakteristischen Amyloid-Ablagerungen der Alzheimer Krankheit und dessen Gen beteiligt. Beyreuther wurde dafür vielfach geehrt, zuletzt mit dem "Lennox K. Black International Prize for Excellence in Medicine", der ihn im November 2006 zusammen mit seinem langjährigen australischen Kooperationspartner Colin L. Masters von der Thomas Jefferson University, Philadelphia verliehen wurde.

Körperliche und geistige Beweglichkeit in Form von nie erlahmender Neugier – sowie eine ausgewogene Ernährung, die reich an Vitamine und Omega-3 Fettsäuren ist, hält er ohne das Genießen zu vernachlässigen, für die beste Alzheimer Vorbeugung.

Dem Musikfestival "Heidelberger Frühling" fühlt sich der Musikliebhaber Beyreuther als Vorsitzender des Freundeskreises besonders verbunden

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 06.11.2012
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